Askese

Ästhetik der Existenz

Die Forschungsprojekte von Antonio Lucci im Bereich der kulturwissenschaftlichen Ästhetik verfolgen hauptsächlich zwei Richtungen: Im Rahmen seiner Habilitation befassen sich die Studien von Antonio Lucci mit dem Thema der Askese und ihrer Rezeption in den Geisteswissenschaften des 20. und 21. Jahrhunderts, wobei der Schwerpunkt auf Philosophie und Kulturwissenschaft liegt. Während der Begriff »Askese« ursprünglich zwischen einer »objektiven« Konnotation (eine an einem Objekt meisterhaft vollendete Arbeit) und einer späteren, »subjektiven« Konnotationsform (eine an sich selbst ausgeführte Übung mit dem Ziel der Vervollkommnung) oszilliert, erhält er im hellenistischen Griechenland eine stark ethische und politische Bedeutung, wie Pierre Hadot und Michel Foucault wiederholt aufgezeigt haben. Mehr und mehr wandelt sich die Askese zu einer »Ästhetik der Existenz«, in der Leben, Form und Stil miteinander verschmelzen.

Schon seit der Antike ist der Asket derjenige, der durch Übung sein eigenes Leben gänzlich umgestaltet und eine Form der Lebensweisheit erreicht hat, die auf einer Reihe von individuellen Praktiken basiert, die seine Natur und sein ursprüngliches Wesen von Grund auf und tiefgreifend verändert haben. Diese Praktiken haben ihm eine vollkommen andere Prägung verliehen, die sich gänzlich von den in seiner Gemeinschaft und Heimat üblichen Traditionen, Bräuchen und Sitten unterscheidet (nicht zuletzt auch hinsichtlich der religiösen und politischen Bedingungen).

Die Art und Weise, in der sich diese Veränderung, diese Abspaltung von der Welt und dem vorherigen Leben vollzieht, ist die radikale Umgestaltung der Lebenspraktiken und der Übungen, die die Subjektivität modellieren.

Das Subjekt wird zu einer Art Werkstatt, in der die Verhaltenspraktiken, die »exercises spirituelles«, gewissermaßen »techniques de sei« darstellen, welche auf einen Effekt der Rückwirkung abzielen, insofern sie auf die Konstitution des Subjekts Einfluss nehmen und somit die Veränderung der Natur ebendieses Subjekts bedingen.

Diese Gesamtheit der Übungen wird immer auch als eine Menge von Praktiken verstanden, die sich in direkten Bezug zu einem bestimmten Zustand der Welt bzw. zu einer Tradition sowie zu einer Kollektivität setzen. Wer sich zu einer radikalen Umgestaltung des eigenen Lebens durch Übungen entscheidet, die das äußere Erscheinungsbild und die innere Gestalt für immer verändern werden, tut dies vermittels einer genau definierten Reihe an kulturellen Techniken, die die Isolation hervorrufen und dennoch das Subjekt mit anderen fortwährend in Beziehung setzen.

Abbildung: John Bigg: The Dinton Hermit, Line engraving by Wilkes, Wonderful Magazine and Marvellous Chronicle, London: C. Johnson 1793, © Wellcome Library, London.