Alina Kopytsa, Anleitung zum Spiel »Plug it«, in welchem die Spieler:innen versuchen, ihre an diverse Körperstellen geschnürten Silikonformen in das jeweilige Gegenstück zu stecken, das am Körper einer anderen Person befestigt ist, www.alinakopytsa.com, 2013.
Kulturwissenschaftliche
Ästhetik und Kulturtheorie
Ästhetik und Kulturtheorie
Humboldt-Universität zu Berlin – Institut für Kulturwissenschaft
Performing Sexual Consent
Intimen Begegnung wohnt die Gefahr des Übergriffs inne. Ob beim Sex, Sport, Spiel, in der Sorgearbeit oder weiteren Bereichen kann es aufgrund körperlicher Nähe oder des Umgangs mit potentiell überwältigenden Inhalten nicht nur zu physischen sondern auch psychischen Unbehaglichkeiten oder gar Schäden kommen, von denen eine die Verletzung der Selbstbestimmung und Handlungsfähigkeit sein kann. Um diese zu wahren gilt das Aushandeln gegenseitiger Einvernehmlichkeit gegenwärtig als vielversprechende Sicherheitsmaßnahme: Die Beteiligten erfragen bei einander, ob einer Interaktion zugestimmt wird und sie verpflichten sich dazu, Verweigerungen grenzachtend zu akzeptieren. Moralisch wie strafrechtlich soll mit solchen Konsenskonzepten eine Unterscheidung getroffen werden zwischen Missbrauch auf der einen und affirmierten Handlungen auf der anderen Seite.
Einvernehmlichkeitskonzepte sind jedoch mitnichten einheitlich. Je nach disziplinärem Hintergrund oder pragmatischem Kontext wird die Gültigkeit eines Einverständnisses an unterschiedlichen Bedingungen festgemacht. Diese gehen jedoch mit inhärenten Komplexitäten, Grenzen und Fallstricken einher, auf die vordergründig feministische, poststrukturalistische, traumatherapeutische und leibphänomenologische Analysen zunehmend hinweisen. Vielfach wird dies exemplarisch anhand sexualethischer Fragestellungen diskutiert. Aus diesen wird gegenwärtig die kritische Forderung laut, die Parameter guter Umgangsformen neu zu bestimmen – jenseits simplifizierter Konsenskonzepte im Sinne eines Erlaubnis-Gebens, hin zu nuancierten Konzepten, welche die Ambiguitäten des Begehrens, Reflexionen von Ungleichheitsverhältnissen sowie den situativen, somatischen und intersubjektiven Eigensinn von intimen Interaktionen umfassen.
An dieser Suche nach anspruchsvolleren Sexualetiketten setzt mein Promotionsprojekt an, indem der Blick auf alternative Bildungsorte gelenkt wird, in welchen Einvernehmlichkeitspraktiken im gemeinsamen, verkörperten, experimentellen Tun sinnlich erfahrbar vermittelt, probiert und weiterentwickelt werden. Exemplarisch werden Workshopübungen derjenigen Räume untersucht, die in der Tradition des Consciousness-Raisings der zweiten Welle der Frauenbewegung stehen und sich in queeren, BDSM- oder anderweitig sexpositiven Szenen, aber auch den performativen und partizipativen Künsten oder in spielerischen Improvisationsformaten wie dem Live Action Role Playing wiederfinden lassen. Um als heterotopische Safer Spaces potentiell riskante, transgressive, aber auch lustvolle und bedeutsame Erfahrungen zu ermöglichen und dabei die Unversehrtheit der Teilnehmenden weitgehend zu gewährleisten, ist in ihnen ein bestimmtes Consent Design wirksam. Exemplarisch lässt sich anhand dieser dezidiert gestalteten Maßnahmen untersuchen, was in den theoretischen Diskursen um Konsenspraktiken meist außen vor bleibt: die grundsätzliche Frage, wie das Aushandeln von Einvernehmlichkeit eigentlich genau gemacht wird, anhand welcher Sprechakte, Gesten, unwillkürlicher Regungen, Codes oder Medien es sich artikuliert oder wirksam wird – und mit welchen Möglichkeiten als auch Grenzen oder Stolpersteinen diese jeweils einhergehen.
Dieser Forschungslücke wird begegnet, indem die aus den erwähnten emanzipatorischen Graswurzelbewegungen stammenden Vermittlungsformate der Workshops und Handbücher zu einvernehmlichem Handeln mit den Methoden kulturwissenschaftlicher Ästhetik auf ihre eigensinnigen Einzelheiten hin untersucht und kulturtheoretisch wie -historisch eingebettet werden. Gefragt wird, wie einvernehmliches Handeln in ihnen erleb-, üb-, reflektier- und kritisierbar wird. Wie informieren die am lebendigen Körper- und Erfahrungswissen ansetzenden Formate zudem Konsenstheorien und machen eine Reformulierung dessen möglich, was in den Forderung nach einem beyond consent zeitgemäßer moralischer Verpflichtungen im intimen Miteinander bisher nur angedeutet wird?